Aus der ZEIT
Die «ganz andere Geschichte» geht aus von der Darstellung einschneidender Ereignisse in der ersten Hälfte des Jahres 2022 und deren Interpretation, wie sie meines Erachtens sehr treffend von einigen Redaktorinnen und Redaktoren der deutschen Zeitung ZEIT vorgenommen wurde. Mit dem Abdruck ihrer Beiträge im O-Ton wäre die Absicht verbunden gewesen, die aktuellen Entwicklungen in der Welt aus einer anderen Perspektive als meiner eigenen darzustellen, also aus neutraler, objektiver Sicht.
Schwierigkeiten bei der Erteilung der dafür erforderlichen Lizenzen haben dieses Vorgehen leider verhindert. So will ich versuchen, im Folgenden die kritischen Aussagen in den ausgewählten Beiträgen möglichst unverfälscht wiederzugeben. Anhand der Verweise auf die Artikel der Redaktorinnen und Redaktoren lassen sich Korrektheit und Authentizität der Wiedergabe der Aussagen feststellen, welche die Dramatik der folgende Situationsanalyse ausmachen.
In seinem Beitrag «Bericht des Club of Rome: Dürfen wir weiter wachsen?» in der ZEIT vom 6. März 2022 erinnert Redaktor Uwe Jean Heuser an die Aussage in Die Grenzen des Wachstums, dass sich die Weltwirtschaft – ausgehend von 1972 - innerhalb der nächsten hundert Jahre selbst zerstört, weil aus dem Wachstum unweigerlich eine harte Schrumpfung wird, wenn sich die Menschheit und die Bedingungen, die sie schafft, nicht gewaltig verändern. Schnell kommen der Bericht des Club of Rome und Uwe Jean Heuser auf die Art zu sprechen, wie Menschen mit Problemen umgehen. Da heisst es, dass die Sorge der Menschen stets dem unmittelbarem in nächster Nähe gelegenen gelte und längst nicht den langfristigen, globalen Aspekten. Auch im Stress der aktuellen Gegenwart, so Heuser, untersuche der Mensch die Lage, sehe er ein, dass etwas zu tun sei, und werde dann von der nächsten Herausforderung abgelenkt – Ölpreis, Finanzkrise, Flüchtlingsstrom, Pandemie, Krieg.
Zwar seien einige Szenarien nicht in dem Umfang eingetreten, von denen in Die Grenzen des Wachstums ausgegangen wird, doch beim Klimaschutz sei keine Korrektur eingetreten: Der CO2-Gehalt in der Atmosphäre habe sich genauso beschleunigt, wie es die Autoren des Berichts, namhaftes MIT-Forschende, warnend prognostiziert und mit der Frage verbunden hatten, ob sich das Wachstum nicht selbst im Wege stehe, wenn es sich so ungebremst wie projiziert vollzieht. Damals wie heute war die Antwort: Ja, tut es.
Das eigentliche Problem sei der konstruierte Konflikt zwischen Umwelt und Wirtschaft, zwischen Umwelt und Ökonomie, als Resultat des Umstands, dass die Umwelt keinen Preis hat, der ihrem Wert entspricht. Dem grenzenlosen Wachstum durch Ausbeutung von Bodenschätzen und Lebensgrundlagen stand damit ökonomisch nichts entgegen. «Geht es so weiter», konstatiert Heuser (Zitat), «müssen wir irgendwann ganz ‘Nein’ sagen zum Wachstum, [...] Dann erst – das ist das Abenteuer – werden wir sehen, wie stark wir in der neuen grünen Welt wachsen. Falls die Menschen lernen, einen Globus im Gleichgewicht zu halten und die eigene Naturerfahrung wertzuschätzen, falls sie mehr aufs Erleben als aufs Besitzen setzen und stolz sind, wenn alles wieder verwendet wird, dann ändert sich die Idee von Wohlstand, und es entsteht Raum für neues Wachstum. Deshalb arbeiten so viele Experten bis hin zum deutschen Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck an alternativen Maßen für den Wohlstand jenseits des klassischen Bruttoinlandsprodukts. Doch es nützt wenig, ein solches Alternativmaß von oben vorzugeben, die Menschen müssen es verinnerlichen und als Konsumenten und Konsumentinnen täglich leben. [...] Das ist, neben Energiewende und CO₂-Steuer, neben dem Aufbau neuer Strom- und Verkehrsnetze, neben Innovationen für klimagerechtes Wirtschaften, die wichtigste Entwicklung. Greifen dagegen der Zorn über steigende CO₂-Preise und der Verteilungskampf um alten Besitz um sich und klammern wir uns weiter an das alte Verständnis von Wohlstand und an die Idee, dass jeder und jede ein möglichst großes Auto sein Eigen nennen sollte, E-Auto oder nicht E-Auto, dann krachen wir tatsächlich an die Grenzen des Wachstums. Das also ist das Abenteuer, das schon früher hätte beginnen sollen: die Frage, ob der Wertewandel so gelingt, dass aus Verlustangst ein Gewinngefühl wird.» (Zitatende)
Der Beitrag «Lieferengpässe – hart getroffen» von Ingo Malcher, Claas Tatje, Marc Widmann und Dr. Kolja Rudzio in der ZEIT vom 2. März 2022 beginnt mit einem alarmierenden Anleser: «Nur 48 Stunden nach Kriegsbeginn rissen bei VW die ersten Lieferketten. Jetzt sucht die deutsche Wirtschaft nach Lösungen in einem Konflikt, den sie nicht kommen sah.» Schnell kommen die Autorinnen und Autoren auf die einschneidenden Folgen von Ukraine-Krieg und Sanktionen gegenüber Russland zu sprechen, welche die deutsche Wirtschaft auf Produktionsausfälle und Kurzarbeit vorbereiten lässt. Sie stellen unschwer fest, dass in der ausnehmend stark vernetzten Produktionswelt jeder Zwischenfall rasch zur Krise führen kann. Mit zunehmender Dramatik listen sie anschliessend Engpässe und Ausfälle auf: Öl und Gas, Steinkohle, Neon, Palladium, Titan, die aus den umkämpften Gebieten oder aus dem sanktionierten Russland stammen und direkt oder indirekt in der industriellen Produktion kritische Rohstoffe und Hilfsmittel darstellen. Ebenso nahtlos wie folgenschwer für die Autoindustrie reihen sich Elektrokabel aus der Ukraine ein als einen von mehreren Schwerpunkten der ukrainischen Autozulieferindustrie.
Schliesslich gehen die Redaktor:innen auf den Rückzug deutscher Konzerne aus Russland ein und sind nicht verlegen, die damit verbundenen, wirtschaftlichen Einschnitte nationaler und internationaler Tragweite aufzuzählen.
In der gleichen Ausgabe der Zeit vom 2. März 2022 gehen Ingo Malcher und Lisa Nienhaus in «Der Finanzkrieg – russischen Banken und Wechselstuben» auf die schmerzhafte Sanktion des Westens ein, Russland von den weltweiten Finanzströmen abzuschneiden als heftige Reaktion auf Putins Angriff auf die Ukraine. Die grösste Hebelwirkung hat dabei der Ausschluss Russlands aus SWIFT, dem üblichen, zentralen System zur sicheren und reibungslosen Abwicklung der Zahlungen unter den Banken weltweit. Damit wird es auch für Länder, die keine Sanktionen gegen Russland verhängt haben, schwer, Zahlungen an Russland zu leisten oder von Russland zu erhalten. Je mehr Banken eines Landes so ausgebremst werden, umso heftiger sind die Nebenwirkungen. Ein solcher Eingriff kann eine Finanzkrise von weltweitem Ausmass auslösen. Der letzte Abschnitt des Artikels hat es in sich, denn Ende Juni 2022 ist mit der Halbierung der Gaslieferungen nach Deutschland eingetreten, was dort noch ein Versuch zur Verharmlosung war: Die Verwässerung der finanziellen Sanktionen durch den Umstand, dass Deutschland weiter Gas aus Russland importiere und damit zur Finanzierung des Kriegs in der Ukraine mitfinanziere. Lakonisch mutet die abschliessende Feststellung an, dass der Verzicht auf das russische Gas für die deutsche Wirtschaft gefährlich wäre, dass die Bereitschaft dazu fraglich sei und vielleicht nur die nächste Eskalationsstufe in einem Finanzkrieg sei, der gerade erst begonnen habe. Mittlerweilen hat sich diese Projektion wenigstens zur Hälfte bereits bewahrheitet.
Mit einem Gastbeitrag von Ole von Uexküll unter dem Titel «Stockhol+50 – Luxus, der ins Unglück führt» kommt die ZEIT vom 24. Mai 2022 auf Die Grenzen des Wachstums zurück. Der Autor stellt schnell fest, dass die Umweltdiplomatie am Boden ist, indem er die mehrfachen grossen Anläufe schildert, welche bis heute nicht die Ergebnisse zu erzeugen vermochten, mit denen die Klimaerwärmung abgewendet werden könnte: die Konferenz in Rio 1992, das Kyoto-Protokoll von 1997, später die Klimakonferenzen 2002 in Johannesburg und 2009 in Kopenhagen, ebenso das Pariser Übereinkommen von 2015 hätten «von vornherein auf jede bindende Wirkung verzichtet», womit der ebenso nötige wie dringende Systemwechsel nie eingetreten sei. Vielmehr hätte die neoliberale Wirtschaftsordnung an Fahrt aufgenommen, welche Ronald Reagan und Maggie Thatcher in den 1980-er Jahren lanciert hatten. Durch die damit verbundene Beseitigung ordnungspolitischer Beschränkungen war dem grenzenlosen Wachstum das Plazet erteilt und mit der 1995 gegründeten World Trade Organisation (WTO) und Hunderten von bilateralen Handelsabkommen institutionalisiert und mit sanktionsbewehrten Regeln, starken Institutionen und kraft einer globalen Elite konsequent mächtig befördert worden. «So wurde die Globalisierung der 1990er-Jahre ein Projekt der Masslosigkeit, das seine Mission bis in die letzten unerschlossenen ökologischen Räume des Planeten trug», schreibt Ole von Uexküll.
Die Grenzen des Wachstums hätten 1972 einen Perspektivenwechsel offeriert, der bis heute nicht wahrgenommen worden sei, stellt von Uexküll fest: «Dieser Perspektivwechsel stellt viele vormalige Gewissheiten des menschlichen Zusammenlebens auf den Kopf, bis hin zum bis heute als unantastbar geltenden westlichen Eigentumsbegriff. Nach der berühmten Theorie des Privateigentums des englischen Philosophen John Locke war die Aneignung von Grundbesitz dadurch gerechtfertigt, dass der Besitzer seine Arbeit mit der natürlichen Ressource Land ‘vermischte’. Doch selbst der liberale Locke formulierte schon 1689 eine entscheidende Bedingung für die Legitimität der Aneignung. Es müsse nämlich noch ‘genug allgemeines Land, von gleicher Qualität, für andere zur Verfügung stehen’ – eine Voraussetzung, die auf einem begrenzten Planeten nicht mehr erfüllt ist.
Auch das Konzept des Homo oeconomicus – des rational seinen materiellen Nutzen optimierenden Menschen – greift in einer begrenzten Welt zu kurz. Als Gegenentwurf verweist der senegalesische Ökonom Felwine Sarr auf kooperative Wirtschaftsmodelle in afrikanischen Gesellschaften, die keinen unbegrenzten Wachstumsbegriff kennen. ‘Der Homo africanus’, schreibt er in seinem Buch Afrotopia, ‘ist kein Homo oeconomicus im strengen Sinne.’»
Sodann erinnert Ole von Uexküll daran, dass laut dem Global Wealth Report der Credit Suisse die 1.1 Prozent der Weltbevölkerung fast die Hälfte des globalen Eigentums innehätten. Mit der Covid-Krise ist dieses Verhältnis noch extremer geworden. In den beiden Pandemiejahren haben die 10 reichsten Männer der Welt ihr Vermögen verdoppeln können, während 99 Prozent der Weltbevölkerung heute ökonomisch schlechter gestellt sind als zuvor.
Ole von Uexküll stellt fest: «Der Mythos vom unendlichen Wachstum ist bis heute die wichtigste Rechtfertigung für den Fortbestand der Ungleichverteilung. Solange die Verliererinnen und Verlierer der Ungleichverteilung nur sich selbst für das eigene materielle Fortkommen verantwortlich sehen, werden sie den übermäßigen Ressourcenverbrauch anderer nicht als Problem empfinden. Wenn sich dagegen die Einsicht durchsetzt, dass der Kuchen in Wirklichkeit begrenzt ist, folgt zwingend Palmes Forderung nach Gleichheit und Gerechtigkeit.»
Am 25. April 2022 berichtet die ZEIT online vom krassen Lockdown, den die chinesische Regierung seit Wochen in Peking aufrecht hält. Die Bevölkerung ist seit Wochen gehalten, zu Hause zu bleiben. Getrieben von Hunger und Verzweiflung setzt sie sich zunehmend über den in China sonst so üblichen Gehorsam hinweg. «In einigen Vierteln sind vor den Haustüren der Bewohner Metallbarrieren errichtet worden, um sie am Verlassen ihrer Wohnungen zu hindern. Die Behörden kommen mit der Lebensmittellieferung an die Eingeschlossenen kaum noch hinterher.»
Der Zeit online -Beitrag «Identität und Migration – anders sein, trotzdem dazugehören» von Redaktorin Marija Latkovi am 25. Juni 2021 hilft dem Verständnis einer Einladung weiter hinten in diesem Buch. Es geht um die Umkehr von fremder Wahrnehmung, Fremdbestimmung und Selbstzweifel in eigene Wahrnehmung, Selbstbestimmung und Selbstsicherheit. Relevant ist das längst nicht nur für Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen mit irgendeinem ausserordentlichen Wesen, sondern praktisch für jedermann. Marija Latkovic stellt fest: «Wir alle ziehen uns seit einer Weile zurück, um uns auf das zu besinnen, was uns von der Mehrheit unterscheidet, die ja doch nur immer wieder sagt: ‘Ihr gehört nicht dazu.’ [...] Die Verunsicherung los zu lassen, bedeutet, sich auch nicht mehr mit Rechtfertigungen aufhalten zu müssen. [...] Man werden, wer man sein kann.»
Schwierigkeiten bei der Erteilung der dafür erforderlichen Lizenzen haben dieses Vorgehen leider verhindert. So will ich versuchen, im Folgenden die kritischen Aussagen in den ausgewählten Beiträgen möglichst unverfälscht wiederzugeben. Anhand der Verweise auf die Artikel der Redaktorinnen und Redaktoren lassen sich Korrektheit und Authentizität der Wiedergabe der Aussagen feststellen, welche die Dramatik der folgende Situationsanalyse ausmachen.
In seinem Beitrag «Bericht des Club of Rome: Dürfen wir weiter wachsen?» in der ZEIT vom 6. März 2022 erinnert Redaktor Uwe Jean Heuser an die Aussage in Die Grenzen des Wachstums, dass sich die Weltwirtschaft – ausgehend von 1972 - innerhalb der nächsten hundert Jahre selbst zerstört, weil aus dem Wachstum unweigerlich eine harte Schrumpfung wird, wenn sich die Menschheit und die Bedingungen, die sie schafft, nicht gewaltig verändern. Schnell kommen der Bericht des Club of Rome und Uwe Jean Heuser auf die Art zu sprechen, wie Menschen mit Problemen umgehen. Da heisst es, dass die Sorge der Menschen stets dem unmittelbarem in nächster Nähe gelegenen gelte und längst nicht den langfristigen, globalen Aspekten. Auch im Stress der aktuellen Gegenwart, so Heuser, untersuche der Mensch die Lage, sehe er ein, dass etwas zu tun sei, und werde dann von der nächsten Herausforderung abgelenkt – Ölpreis, Finanzkrise, Flüchtlingsstrom, Pandemie, Krieg.
Zwar seien einige Szenarien nicht in dem Umfang eingetreten, von denen in Die Grenzen des Wachstums ausgegangen wird, doch beim Klimaschutz sei keine Korrektur eingetreten: Der CO2-Gehalt in der Atmosphäre habe sich genauso beschleunigt, wie es die Autoren des Berichts, namhaftes MIT-Forschende, warnend prognostiziert und mit der Frage verbunden hatten, ob sich das Wachstum nicht selbst im Wege stehe, wenn es sich so ungebremst wie projiziert vollzieht. Damals wie heute war die Antwort: Ja, tut es.
Das eigentliche Problem sei der konstruierte Konflikt zwischen Umwelt und Wirtschaft, zwischen Umwelt und Ökonomie, als Resultat des Umstands, dass die Umwelt keinen Preis hat, der ihrem Wert entspricht. Dem grenzenlosen Wachstum durch Ausbeutung von Bodenschätzen und Lebensgrundlagen stand damit ökonomisch nichts entgegen. «Geht es so weiter», konstatiert Heuser (Zitat), «müssen wir irgendwann ganz ‘Nein’ sagen zum Wachstum, [...] Dann erst – das ist das Abenteuer – werden wir sehen, wie stark wir in der neuen grünen Welt wachsen. Falls die Menschen lernen, einen Globus im Gleichgewicht zu halten und die eigene Naturerfahrung wertzuschätzen, falls sie mehr aufs Erleben als aufs Besitzen setzen und stolz sind, wenn alles wieder verwendet wird, dann ändert sich die Idee von Wohlstand, und es entsteht Raum für neues Wachstum. Deshalb arbeiten so viele Experten bis hin zum deutschen Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck an alternativen Maßen für den Wohlstand jenseits des klassischen Bruttoinlandsprodukts. Doch es nützt wenig, ein solches Alternativmaß von oben vorzugeben, die Menschen müssen es verinnerlichen und als Konsumenten und Konsumentinnen täglich leben. [...] Das ist, neben Energiewende und CO₂-Steuer, neben dem Aufbau neuer Strom- und Verkehrsnetze, neben Innovationen für klimagerechtes Wirtschaften, die wichtigste Entwicklung. Greifen dagegen der Zorn über steigende CO₂-Preise und der Verteilungskampf um alten Besitz um sich und klammern wir uns weiter an das alte Verständnis von Wohlstand und an die Idee, dass jeder und jede ein möglichst großes Auto sein Eigen nennen sollte, E-Auto oder nicht E-Auto, dann krachen wir tatsächlich an die Grenzen des Wachstums. Das also ist das Abenteuer, das schon früher hätte beginnen sollen: die Frage, ob der Wertewandel so gelingt, dass aus Verlustangst ein Gewinngefühl wird.» (Zitatende)
Der Beitrag «Lieferengpässe – hart getroffen» von Ingo Malcher, Claas Tatje, Marc Widmann und Dr. Kolja Rudzio in der ZEIT vom 2. März 2022 beginnt mit einem alarmierenden Anleser: «Nur 48 Stunden nach Kriegsbeginn rissen bei VW die ersten Lieferketten. Jetzt sucht die deutsche Wirtschaft nach Lösungen in einem Konflikt, den sie nicht kommen sah.» Schnell kommen die Autorinnen und Autoren auf die einschneidenden Folgen von Ukraine-Krieg und Sanktionen gegenüber Russland zu sprechen, welche die deutsche Wirtschaft auf Produktionsausfälle und Kurzarbeit vorbereiten lässt. Sie stellen unschwer fest, dass in der ausnehmend stark vernetzten Produktionswelt jeder Zwischenfall rasch zur Krise führen kann. Mit zunehmender Dramatik listen sie anschliessend Engpässe und Ausfälle auf: Öl und Gas, Steinkohle, Neon, Palladium, Titan, die aus den umkämpften Gebieten oder aus dem sanktionierten Russland stammen und direkt oder indirekt in der industriellen Produktion kritische Rohstoffe und Hilfsmittel darstellen. Ebenso nahtlos wie folgenschwer für die Autoindustrie reihen sich Elektrokabel aus der Ukraine ein als einen von mehreren Schwerpunkten der ukrainischen Autozulieferindustrie.
Schliesslich gehen die Redaktor:innen auf den Rückzug deutscher Konzerne aus Russland ein und sind nicht verlegen, die damit verbundenen, wirtschaftlichen Einschnitte nationaler und internationaler Tragweite aufzuzählen.
In der gleichen Ausgabe der Zeit vom 2. März 2022 gehen Ingo Malcher und Lisa Nienhaus in «Der Finanzkrieg – russischen Banken und Wechselstuben» auf die schmerzhafte Sanktion des Westens ein, Russland von den weltweiten Finanzströmen abzuschneiden als heftige Reaktion auf Putins Angriff auf die Ukraine. Die grösste Hebelwirkung hat dabei der Ausschluss Russlands aus SWIFT, dem üblichen, zentralen System zur sicheren und reibungslosen Abwicklung der Zahlungen unter den Banken weltweit. Damit wird es auch für Länder, die keine Sanktionen gegen Russland verhängt haben, schwer, Zahlungen an Russland zu leisten oder von Russland zu erhalten. Je mehr Banken eines Landes so ausgebremst werden, umso heftiger sind die Nebenwirkungen. Ein solcher Eingriff kann eine Finanzkrise von weltweitem Ausmass auslösen. Der letzte Abschnitt des Artikels hat es in sich, denn Ende Juni 2022 ist mit der Halbierung der Gaslieferungen nach Deutschland eingetreten, was dort noch ein Versuch zur Verharmlosung war: Die Verwässerung der finanziellen Sanktionen durch den Umstand, dass Deutschland weiter Gas aus Russland importiere und damit zur Finanzierung des Kriegs in der Ukraine mitfinanziere. Lakonisch mutet die abschliessende Feststellung an, dass der Verzicht auf das russische Gas für die deutsche Wirtschaft gefährlich wäre, dass die Bereitschaft dazu fraglich sei und vielleicht nur die nächste Eskalationsstufe in einem Finanzkrieg sei, der gerade erst begonnen habe. Mittlerweilen hat sich diese Projektion wenigstens zur Hälfte bereits bewahrheitet.
Mit einem Gastbeitrag von Ole von Uexküll unter dem Titel «Stockhol+50 – Luxus, der ins Unglück führt» kommt die ZEIT vom 24. Mai 2022 auf Die Grenzen des Wachstums zurück. Der Autor stellt schnell fest, dass die Umweltdiplomatie am Boden ist, indem er die mehrfachen grossen Anläufe schildert, welche bis heute nicht die Ergebnisse zu erzeugen vermochten, mit denen die Klimaerwärmung abgewendet werden könnte: die Konferenz in Rio 1992, das Kyoto-Protokoll von 1997, später die Klimakonferenzen 2002 in Johannesburg und 2009 in Kopenhagen, ebenso das Pariser Übereinkommen von 2015 hätten «von vornherein auf jede bindende Wirkung verzichtet», womit der ebenso nötige wie dringende Systemwechsel nie eingetreten sei. Vielmehr hätte die neoliberale Wirtschaftsordnung an Fahrt aufgenommen, welche Ronald Reagan und Maggie Thatcher in den 1980-er Jahren lanciert hatten. Durch die damit verbundene Beseitigung ordnungspolitischer Beschränkungen war dem grenzenlosen Wachstum das Plazet erteilt und mit der 1995 gegründeten World Trade Organisation (WTO) und Hunderten von bilateralen Handelsabkommen institutionalisiert und mit sanktionsbewehrten Regeln, starken Institutionen und kraft einer globalen Elite konsequent mächtig befördert worden. «So wurde die Globalisierung der 1990er-Jahre ein Projekt der Masslosigkeit, das seine Mission bis in die letzten unerschlossenen ökologischen Räume des Planeten trug», schreibt Ole von Uexküll.
Die Grenzen des Wachstums hätten 1972 einen Perspektivenwechsel offeriert, der bis heute nicht wahrgenommen worden sei, stellt von Uexküll fest: «Dieser Perspektivwechsel stellt viele vormalige Gewissheiten des menschlichen Zusammenlebens auf den Kopf, bis hin zum bis heute als unantastbar geltenden westlichen Eigentumsbegriff. Nach der berühmten Theorie des Privateigentums des englischen Philosophen John Locke war die Aneignung von Grundbesitz dadurch gerechtfertigt, dass der Besitzer seine Arbeit mit der natürlichen Ressource Land ‘vermischte’. Doch selbst der liberale Locke formulierte schon 1689 eine entscheidende Bedingung für die Legitimität der Aneignung. Es müsse nämlich noch ‘genug allgemeines Land, von gleicher Qualität, für andere zur Verfügung stehen’ – eine Voraussetzung, die auf einem begrenzten Planeten nicht mehr erfüllt ist.
Auch das Konzept des Homo oeconomicus – des rational seinen materiellen Nutzen optimierenden Menschen – greift in einer begrenzten Welt zu kurz. Als Gegenentwurf verweist der senegalesische Ökonom Felwine Sarr auf kooperative Wirtschaftsmodelle in afrikanischen Gesellschaften, die keinen unbegrenzten Wachstumsbegriff kennen. ‘Der Homo africanus’, schreibt er in seinem Buch Afrotopia, ‘ist kein Homo oeconomicus im strengen Sinne.’»
Sodann erinnert Ole von Uexküll daran, dass laut dem Global Wealth Report der Credit Suisse die 1.1 Prozent der Weltbevölkerung fast die Hälfte des globalen Eigentums innehätten. Mit der Covid-Krise ist dieses Verhältnis noch extremer geworden. In den beiden Pandemiejahren haben die 10 reichsten Männer der Welt ihr Vermögen verdoppeln können, während 99 Prozent der Weltbevölkerung heute ökonomisch schlechter gestellt sind als zuvor.
Ole von Uexküll stellt fest: «Der Mythos vom unendlichen Wachstum ist bis heute die wichtigste Rechtfertigung für den Fortbestand der Ungleichverteilung. Solange die Verliererinnen und Verlierer der Ungleichverteilung nur sich selbst für das eigene materielle Fortkommen verantwortlich sehen, werden sie den übermäßigen Ressourcenverbrauch anderer nicht als Problem empfinden. Wenn sich dagegen die Einsicht durchsetzt, dass der Kuchen in Wirklichkeit begrenzt ist, folgt zwingend Palmes Forderung nach Gleichheit und Gerechtigkeit.»
Am 25. April 2022 berichtet die ZEIT online vom krassen Lockdown, den die chinesische Regierung seit Wochen in Peking aufrecht hält. Die Bevölkerung ist seit Wochen gehalten, zu Hause zu bleiben. Getrieben von Hunger und Verzweiflung setzt sie sich zunehmend über den in China sonst so üblichen Gehorsam hinweg. «In einigen Vierteln sind vor den Haustüren der Bewohner Metallbarrieren errichtet worden, um sie am Verlassen ihrer Wohnungen zu hindern. Die Behörden kommen mit der Lebensmittellieferung an die Eingeschlossenen kaum noch hinterher.»
Der Zeit online -Beitrag «Identität und Migration – anders sein, trotzdem dazugehören» von Redaktorin Marija Latkovi am 25. Juni 2021 hilft dem Verständnis einer Einladung weiter hinten in diesem Buch. Es geht um die Umkehr von fremder Wahrnehmung, Fremdbestimmung und Selbstzweifel in eigene Wahrnehmung, Selbstbestimmung und Selbstsicherheit. Relevant ist das längst nicht nur für Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen mit irgendeinem ausserordentlichen Wesen, sondern praktisch für jedermann. Marija Latkovic stellt fest: «Wir alle ziehen uns seit einer Weile zurück, um uns auf das zu besinnen, was uns von der Mehrheit unterscheidet, die ja doch nur immer wieder sagt: ‘Ihr gehört nicht dazu.’ [...] Die Verunsicherung los zu lassen, bedeutet, sich auch nicht mehr mit Rechtfertigungen aufhalten zu müssen. [...] Man werden, wer man sein kann.»