Lösungsansatz 1: Solidarische, regionale Kreislaufwirtschaft
Ein kleiner Glarner Textilhersteller entwirft den Masterplan für die schweizerische Hanfindustrie.
«Handelszeitung» vom 31.12.2021, Redaktor Andreas Valda
Der Mann hat etwas von einem Guru. Entfernt erinnert er an Mahatma Gandhi. Er versucht, Leute auf dem Land um sich zu scharen und verspricht Unabhängigkeit und Aufschwung durch Selbstversorgung. Sein Ziel: die Einführung einer echten Kreislaufwirtschaft im Alpenraum. Dieses Modell will er – sofern erfolgreich – exportieren. Dafür sucht er «eine weltweite Allianz von Partnern für globale Nachhaltigkeit in Gesellschaft und Wirtschaft», steht auf Linkedin. Was dort nicht steht: Sein Weltprojekt basiert auf Hanf. Der Mann heisst Martin Klöti. Der 62-jährige Thalwiler war lange Projektleiter bei Banken, zuletzt bei Julius Bär. Danach wurde er Professor für Ökologie und Nachhaltigkeit an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Dort lehrte er Ethik, postulierte Empowerment und Green Tech, wetterte gegen Konsum, lud Referenten und Referentinnen aus der halben Welt ein und überzog das Budget. Die Folge: Er flog raus und gründete 2017 die Genossenschaft Glärnisch Textil mit 16 Mitstreitenden.
Klöti stemmte mithilfe seiner Familie 1,5 Millionen Franken Kapital und ist der Chef der Genossenschaft. Er hat sich zum Ziel gesetzt, aus Hanf eine neue Textilindustrie aufzubauen, mit Epizentrum in Glarus. Sein Ehrgeiz: gesponnene Hanffasern so fein und weich zu machen wie Garne aus Baumwolle. Damit sollen sie in der breiten Mode marktfähig werden. Made in Switzerland – ein hoher Anspruch, wie alles bei Klöti: stets hart an der Grenze zum Grössenwahn. Traum 1: Industrie zurück ins Tal holen Berauscht war der Kulturingenieur ETH nicht, als er seine Vision entwickelte. Denn der Nutzhanf, den er verarbeitet, ist der THC-freie Cannabis sativa. Er sieht aus wie Drogenhanf, ist aber zum Kiffen so geeignet wie ein Stück Karton. Wirtschaftlich interessant sind die Samen für Nahrungsmittel, die Stängel für Textilfasern, für Bau- und Isoliermaterial sowie das darin vorhandene Naturharz. Es kann für Autokarosserien oder für das Skiwachsen verwendet werden. Diese Cannabisart ist eine Pionierpflanze mit extremer Performance. Sie kommt ohne Pestizide und Kunstdünger aus. Sie ist wenig empfindlich und wächst bis hoch hinauf. Und sie wächst schnell: Innerhalb von hundert Tagen ist sie erntereif. Aus dem nachwachsenden Rohstoff können laut Klöti «jede Art von Kunst- und Werkstoffen» hergestellt werden. Auch die Medizin und die Kosmetik nutzen Cannabis sativa. Damit sich jeder in Glarus den Aufbruch vorstellen kann, baut Klöti an einem Masterplan à la Metaverse.
Auf einer Internetplattform soll das Entstehen der neuen Textilindustrie simuliert werden, «eins zu eins anhand der effektiven Verhältnisse», sagt Klöti, «von den Hanffeldern und den Bauern über die Hanfbrechanlage, die Spinnereien, die Webereien, die Vliesproduktion, die Baustoffwerke, die Nähateliers und Seilereien bis zu den Tuchmachereien». Klöti selber verwertet nur die Stängel. Pro Jahr erhält er einige wenige Tonnen, obwohl er die Kapazität für 2000 hätte. Sie stammen von drei Dutzend Hanfbauern in Graubünden, Liechtenstein, St. Gallen und Aargau. Die Stängel haben eine harte Schale und einen weichen Kern. Über mehrere Stufen werden sie gebrochen. Die harten Teile fallen in einen Behälter. Klöti verkauft sie an einen erfolgreichen Hersteller von Hanfziegeln in Südtirol. Die weichen Fasern werden maschinell gekämmt, bis sie sich anfühlen wie Wattebäuschchen: Dies ist der Rohstoff für Isolierung, die er auch verkauft, und für Garn. Die einzigen Brech- und Kämmmaschinen der Schweiz rattern bei Klöti. Jetzt arbeitet er an einer Spinnmaschine, zusammen mit dem Winterthurer Hersteller Rieter. Ein erster Versuch mit fünf Tonnen Fasern sei vor kurzem gescheitert, sagt Klöti. Die gesponnenen Fäden seien gerissen, weil die Fasern zu kurz waren. Der Rohstoff stammte von der falschen Hanfsorte. «Wir brauchen jetzt lange Fasern aus Winterhanf», sagt Klöti. Dieser wächst bei einigen Bauern auf den Feldern und wird im Frühling geerntet. Allzu weit ist der Hanfguru also noch nicht. Das Beispiel demonstriert die Vielschichtigkeit des Vorhabens, aus dem Nichts eine Textilindustrie aufzubauen: Bauern müssen den richtigen Rohstoff anbauen, Spinnereien müssen modisches Garn herstellen – und neue Textilfirmen müssen Kundschaft finden. Und es braucht Geld, um das Ganze zu finanzieren, sonst geht es nicht auf. Traum 2: Nahrung wächst in der Schweiz Doch es gibt zwei Beispiele, bei denen die Rechnung mindestens für die Hanfbauern bereits aufgeht. Sie verkaufen die gewonnenen Hanfsamen an Lebensmittelhersteller. Es sind dies zwei Unternehmen, die eine jung, die andere etabliert: die Firma Alpenpionier in Ilanz bei Chur und die Genossenschaft Landi Freiamt in Bünzen AG. Ihre Marken heissen Alpenpionier und Hanfwohl. Sie verkaufen seit drei Jahren Hanfsamen zum Konsum, Hanfriegel, Öl und Kochzutaten, etwa Hanfpulver. An beiden Orten sind eigenwillige Gründer am Werk – bei Alpenpionier der Lebensmittelingenieur Carlo Weber (37) und bei Landi der Ladennetzchef Daniel Appert (52). Um diese zwei Pole herum haben sich seit 2017 Hanf-Cluster gebildet: In Graubünden und Liechtenstein sind es zwei Dutzend Hanfbäuerinnen und -bauern, im Aargau 14. Die Nase voraus hat Weber mit Alpenpionier. Sein Marketing und seine Produkte sprechen ein junges, trendy Publikum an, welchem Fitness, Outdoor, Veganismus, Kochen und Gesundheit wichtig ist. Die Samenstreusel, der Hanftee und Hanfbier laufen gut. Doch seine beste Erfindung sind Protein- und Energieriegel, die gut und gerne zu Red Bull passen würden. Sie sind so lecker, dass Migros und Coop sie demnächst ins Sortiment aufnehmen werden – Webers erster grösserer Erfolg. In seiner Fabrik steht auch die erste und einzige industrielle Maschine zum Schälen von Hanfsamen, die optisch an Leinsamen erinnern, aber runder und grösser sind. Davon profitiert auch die Konkurrenz. Apperts Landi lässt dort ihre Samen schälen, um Kosten zu senken. Denn die Margen sind noch viel zu klein, als dass Konkurrenten parallele Kapazitäten aufbauen können: Kooperation ist Trumpf. Was die Hanfsamen so wertvoll macht: Zum einen enthalten sie die berühmten Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren. Diesen wird ein lebensverlängernder Effekt bei regelmässiger Einnahme nachgesagt.Zum andern stecken darin alle lebensnotwendigen Aminosäuren, sodass ein Mensch auf den Verzehr tierischer Proteine verzichtet könnte. «Für Veganer ist das ideal», sagt Lebensmittelingenieur Weber. Hanfkulturen wäre eine rentierende Alternative für die defizitäre Milch- und Fleischwirtschaft. Die bekannte vegetarische Restaurantkette Tibits setzt auf Hanfsamen von Alpenpionier: im Eistee, in Knödeln, auf Salaten und als warmes Getränk, der «Hanflatte», aus Samen, Datteln und Hafermilch. Das Tibits sei munter am Experimentieren, sagt Co-Gründer Reto Frei. Gesucht werden derzeit Rezepte für Frühstücksgetränke, für einen Proteinshake und für ein Brot aus Hanfschrot. «Hanf-Food hat viel Potenzial, da es vielseitig, geschmackvoll, gesund und lokal hergestellt ist», sagt Frei. Er hat sich als Kleinaktionär an Alpenpionier beteiligt und letzten Sommer in den Verwaltungsrat wählen lassen. Doch Alpenpionier verbrennt Geld. Das Geschäft ist im vierten Betriebsjahr noch in den roten Zahlen. Man setzt auf Freiwilligenarbeit, Idealismus und Crowdfunding. Der Finanzchef, ein früherer Investmentbanker, arbeitet im Teilzeitpensum – und kehrt jeden Franken zweimal um, bevor er ihn ausgibt. Der Umsatz dürfte unter 500 000 Franken liegen. Immerhin: Der Kanton Graubünden unterstützt Hanfkulturen mit Beiträgen und die Glarner Kantonalbank hat Alpenpionier ein Darlehen gewährt. «Ohne sie wäre es nicht gegangen», gesteht Weber. Als Gegenleistung erhofft sich der Kanton, dass Alpenpionier eine so grosse Nachfrage generiert, dass sich regional eine auf Hanf basierende Agrarwirtschaft entwickelt. Sie wäre eine rentierende Alternative für die defizitäre Milch- und Fleischwirtschaft. Warum eine Alternative? Das Amt für Landwirtschaft Graubündens sagt, dass Hanf «bis auf einer Höhe von 1500 Meter über Meer ausreifen kann» – das höchste Feld lag auf 1250 Metern in Scuol – und dass Hanf eine Proteinqualität aufweise, die mit Soja vergleichbar sei. 800 000 Tonnen Soja würden jährlich importiert, vor allem für Veganer und Vegetarier. Ergo könnte mit Hanfanbau im Inland wertvolles Eiweiss beschafft werden. Und so formuliert das Landwirtschaftsamt seinen Traum: Das Projekt habe «ein beträchtliches Potenzial, eine Kulturart mit grosser Vergangenheit und beträchtlichem Zukunftspotenzial im Alpenraum und insbesondere im Kanton Graubünden wieder aufleben zu lassen». Traum 3: Hanf, der umweltgute Rohstoff Dieses Potenzial hat inzwischen auch Agrarminister Guy Parmelin entdeckt. Dank Lobbying der Kantone Graubünden und Aargau liess er im November Direktzahlungen für Nutzhanfkulturen vom Bundesrat bewilligen. Die Subvention wird ab Januar ausgerichtet und rund die Hälfe der Auslagen der Bauern decken. Da sie etwa gleich viel Ertrag je Kilo erwarten wie bisher, wird die Subvention vor allem den Herstellern zukommen, die künftig nur rund halb so viel für den Rohstoff bezahlen werden als bisher. Damit bleibe mehr Geld für die Entwicklung, so die Hersteller. Landwirtin Andrea Haas ist eine von 14 Hanfbauern im Cluster Freiamt, die seit 2019 tätig sind. Auch sie freut sich über die Subvention, aber nicht, weil sie mehr Gewinn mache, sondern weil mehr Geld da sein werde, um Nutzhanf zu vermarkten. Wer das grosse Geld verdienen wolle, müsse nicht auf Nutzhanf setzen. «Wir bauen aus Passion an, um Neues zu versuchen», sagt sie, die viele Beteiligte kennt und sich bei Landi im Verwaltungsrat engagiert. «Ein wertvolles Produkt, nur: Lebensmittel aus Hanf sind zu wenig bekannt.» ANDREA HAAS, HANFBÄUERIN DOTTIKON Die 33-Jährige züchtet auf dem elterlichen Hof in Dottikon AG zwar auch konventionelle Saaten, etwa Weizen oder Zuckerrüben. Aber sie sucht die Innovation: Seit zwei Jahren setzt sie auf Nutzhanf. Dieser nimmt einen Zehntel des von ihr angebauten Bodens ein, in der Grösse von acht Fussballfeldern. Haas überlegt sich, auf Bio umstellen. Schliesslich sei Nutzhanf quasi Bio. Hanf wächst schneller als Unkraut. Die Pflanze sei geeignet für die Ackerwirtschaft, denn sie passe hervorragend in die Fruchtfolge. Und Cannabis sativa liefere ein «megawertvolles Produkt – das Problem ist nur: Die Konsumenten springen nicht von alleine drauf. Das ist leider so.» Die Herkulesaufgabe sei, Hanfprodukte bekannt zu machen. Haas’ Samen gelangen unter der Marke Hanfwohl zu den Konsumenten. Als Spezialitäten gelten Hanfpasta und Hanfbirewegge. Ein einziger Vorfall kann das Hanfprojekt Schweiz gefährden. Das Vertriebsnetz war bisher bescheiden: Rund fünfzig Volg- und LandiLäden sind das Vertriebsnetz – plus ein Online-Shop. Doch das genügt nicht. Die Umsätze sind nicht berauschend. So erhofft Haas einen Push durch Migros Aare und Luzern. Die zwei Genossenschaften haben zugesagt, Hanfwohl-Produkte unter dem Titel «Aus der Region» zu verkaufen. Der Ritterschlag ist das noch nicht, aber immerhin erhalten Haas’ Produkte einen weiteren Kanal. Traum 4: Eine neue Branche erschaffen Ob Haas, Appert, Klöti, Weber oder die Agrarfunktionäre: Sie alle träumen von einer Nutzhanfindustrie. Sie kennen einander, sprechen über Mengen und Preise und versuchen, einander zu helfen. Doch es geht nur, wenn jede Stufe ihren Teil dazu leistet: die Bauern, die Hersteller, die Textilindustrie und der Detailhandel. So könnte etwa Coop Hanföl aus der Schweiz statt aus Österreich vermarkten. Ein einziger Vorfall kann das Hanfprojekt Schweiz gefährden. Dies zeigte eine Begebenheit vor zwei Jahren: Martin Klötis Hanfbrechmaschine brannte. Ein einziges Steinchen, das versehentlich in die Maschine gelangt war, löste Funken aus, welche die Hanffasern entzündeten. Der Betrieb stand still. Ein volles Jahr Arbeit umsonst. Die Bauern mussten Tausende Ballen Hanfstroh einlagern. Und stellten – als Reaktion – auf eine Sorte um, die kürzere Fasern generiert. Zum Leid Klötis: Jetzt fehlen ihm lange Fasern fürs Garnspinnen – so fragil ist das System. Der andere grosse Haken ist: Schweizer Hanfprodukte sind noch viel zu wenig bekannt. Die Akteure haben seit 2017 zusammen geschätzt 10 Millionen investiert, ohne in die schwarzen Zahlen zu kommen. Das zehrt an den Nerven. Man hat viel unbezahlte Stunden und Idealismus hineingesteckt, aber noch keinen breiten Widerhall erfahren. Weder Energieriegel noch die «Hanfnüsse», noch Hanfpasta, noch Hanfbirewegge sind sehr bekannt. Auch dürften die allermeisten Küchen noch nie etwas von diesem hochwertigen Proteinersatz erfahren haben. Den mangelnden Bekanntheitsgrad beklagen die Akteure selber. Der grosse Traum ist bedroht. Derweil träumt der Glarner Martin Klöti seinen Traum weiter. Vor zwei Wochen hat er ein Flugblatt publiziert, mit dem Aufruf an Glarner Grundbesitzer, leer stehende Häuser – deren gibt es viele – zu spenden. Kein Witz. Klötis Angebot: Tausche Haus gegen Genossenschaftsanteile der Glärnisch Textil. Sein Plan: die Häuser zu renovieren und darin Textilateliers einzurichten, um so an Kapital (Hypotheken) zu gelangen. Ob sein Plan gelingt, ist offen. Die Idee ist schlau, aber etwas vermessen. Warum sollte eine Bank Hypotheken für Textilateliers vergeben, solange keine Nachfrage vorhanden ist? Es ist dies die Frage nach dem Huhn und dem Ei. Was kommt zuerst? Klötis Antwort darauf ist ein Appell in die Zukunft. «Bis 2025 setzen die klug vernetzten Glarner Werktätigen auf substanziell mehr nachwachsende Rohstoffe und Rezyklate. Dank einer entschlossenen Umsetzung schaffen sie innert fünf Jahren gegen eintausend neue Arbeitsplätze im Tal und mutieren zur Vorzeigeregion mit internationaler Ausstrahlung.» Das Glarnerland soll nach den vergangenen, zum Teil sehr beschwerlichen Jahrzehnten «tüchtig herausgeputzt werden. – Ein wunderbarer Traum. Aber bis dahin ist der Weg noch sehr weit.
Wenn ein T-Shirt der Anstoss zu Neuem wird
«St. Galler Bauer» 19 - 2022, Redaktorin Barbara Schirmer
Die Genossenschaft Glärnisch Textil hat den Nutzhanf im Fokus. Nutzhanf ist ein vergessen gegangener Alleskönner. Martin Klöti von der Genossenschaft Glärnisch Textil sieht in diesem Rohstoff viel Potential, auch für die Landwirtschaft.
Langstielige blassbeige Halme türmen sich in der grossen Halle der Genossenschaft Glärnisch Textil in Schwändi. Mittendrin befindet sich der Verwaltungsratspräsident, Martin Klöti. Er ergreift eine Hand voll Halme, schüttelt sie, bis sie einigermassen parallel liegen und legt sie sich über den freien Arm. „Es handelt sich um Winterhanf. Dieser ist vor wenigen Tagen eingetroffen“, erzählt er ohne seine Arbeit zu unterbrechen und fügt an, dass künftig ein spezieller Parallelmäher eingesetzt werden soll, damit die Halme direkt nach der Ernte für das maschinelle Weiterverarbeiten gerüstet sind und die Handarbeit entfällt. Doch das ist Zukunftsmusik.
Es ist die erste Lieferung Winterhanf für die Genossenschaft Glärnisch Textil. Überhaupt befindet sich das Projekt Schweizer Nutzhanf noch im Aufbau. „Wir möchten weg von fragwürdigen, verschwenderischen Produktions- und Konsumformen. Die Lösung liegt in der Kreislaufwirtschaft“, erklärt Klöti den Genossenschaftsgedanken. Es gelte Materialien und Hilfsstoffe für die menschlichen Bedürfnisse zu gewinnen und zu verwenden, welche die Natur liefere. Diese sollen zu guten zeitgemässen Produkten verarbeiten werden. Wichtig auch: Ist die Lebensdauer der Produkte abgelaufen, müssen sie vollständig und einwandfrei zu ihrem Ursprung zurückgehen. Nicht zu vergessen sind die Produktionsbedingungen. Auch die hält die Genossenschaft im Fokus.
Es war eine Reise nach China, welche Klöti als damaligen Mitarbeiter der Fachhochschule Nordwestschweiz in Zusammenarbeit mit Sulzer Textil tätigte, die ihn zum Handeln zwang. „Was ich dort sah und roch, hat mich sehr bewegt“, so sein Fazit. Daraufhin habe er sich Gedanken gemacht, was alles passieren muss, um die Missstände langfristig in Ordnung zu bringen. Während dieser Zeit folgte ein weiteres Schlüsselerlebnis. „Ich wollte ein T-Shirt kaufen das aus einem qualitativ hochwertigen Baumwollstoff gefertigt ist“, erzählt er. Er trage seine Kleider über Jahre und bevorzuge daher Stoffe, welche diesem Anspruch standhalten. Doch auf dem Markt fand er nichts Zufriedenstellendes. Wohlwissend, dass sich Herausforderungen nicht von alleine lösen, handelte er und legte den Grundstein für die heutige Genossenschaft Glärnisch Textil.
Ein anspruchsloser Überlebenskünstler
„Hanf ist ein Überlebenskünstler, gleichzeitig unglaublich vielseitig einsetzbar“, weiss Klöti. In der Tat bietet Hanf in Form von Nüssen, Mehl und Öl Nahrung. Gleichzeitig sind die Fasern Lieferant für Textilien, Baustoff und Dämmmaterial. Selbst scheinbarer Ausschuss des Hanfs kann noch verwertet werden. Er findet seine Bestimmung als synthetische Bio –Granulate oder Hanf-Cellulose. Zu guter Letzt lässt sich aus dem Hanf sogar Energie gewinnen. „Hanf deckt unsere Lebensbedürfnisse vollständig ab. Wir müssen ihn nur richtig nutzen.“
Die Faserpflanze wächst unkompliziert, ohne Spritzmittel, ganz egal ob lange Trockenphasen oder Regenperioden die Wetterkapriolen dominieren. Sie wartet einfach ab, bis bessere Zeiten kommen und gedeiht dann weiter. Selbst auf stark beanspruchten oder vernachlässigten Flächen soll Hanf einsetzbar sein. Entsprechend robust sind seine Fasern. Klöti bedenkt: „Wickeln sich beim Verarbeiten Fasern auf, so spickt vorher ein Teil der Maschine ab, als dass die Faser nachgibt.“ Vor allem in der Schifffahrt für Segel und Seile fanden die Fasern früher ihre Anwendungen.
Der Winterhanf, welcher in der Halle auf das Weiterverarbeiten wartet, hat aber einen anderen Bestimmungszweck. Er soll für Textilien genutzt werden. „Da der wintergewachsene Hanf keine Früchte trägt, fällt der Mähdrescher weg. Dadurch bleiben die Stängel in ihrer ursprünglich gewachsenen langen Form bestehen. Was für stabile reissfeste Fäden spricht. Anders der Sommerhanf. Er ist in erster Linie Öl- und Nusslieferant. Das durch den Drescher verkürzte Stroh findet somit als Baumaterial seinen Bestimmungszweck.
Mehr Wertschöpfung möglich
Klöti ist überzeugt, dass sich die Landwirtschaft neu positionieren kann, in dem sie nebst der Ernährung einen wesentlichen Beitrag für die weiteren Bedürfnisse der Wirtschaft abdeckt. Das Ziel der Genossenschaft geht sogar noch weiter. „Wir möchte den Landwirten ermöglichen, direkt auf ihren Betrieben Halbfertigfabrikate zu produzieren. So wird die Wertschöpfung für die Betriebe erhöht. Gleichzeitig wird das Wissen der Hanfverarbeitung breit abgestützt.“ Die dazu benötigten Maschinen sollen sich dank der Genossenschaft Glärnisch Textil in einer Preisklasse befinden, welche von den Landwirten auch gestemmt werden kann.
Zurzeit wächst an den verschiedensten Standorten in der Schweiz Nutzhanf. Es ist ein Anliegen von Martin Klöti, dass auch im Glarnerland und in der Linthebene Landwirte zur Produktion gewonnen werden. Das Glarnerland mit seiner langen Textiltradition verfüge noch über eine der letzten industriellen Spinnereien. Grad der Winterhanf würde so unmittelbar dort verarbeitet, wo er wächst. „Das spart Transportwege und bietet abgelegenen Gebieten die Chance auf Arbeitsplätze.“ Zudem wachse mit diesem Schritt die Landwirtschaft über ihre Grundfunktion als Nahrungsmittellieferantin hinaus und werde zum Partner für sämtliche Grundbedürfnisse des Menschen. Klöti mahnt: „Grad jetzt, wo der nahe Krieg in der Ukraine wütet, sollten wir sensibilisiert sein, wie wichtig eine breit abgestellte Landwirtschaft ist.“
Noch immer entwirrt er Winterhanfhalme in der grossen Halle. Demnächst werde eine, eigens für die Weiterverarbeitung dieser langen Fasern konstruierte Brechmaschine das Sortiment in Schwändi erweitern. Dann ist ein weiterer wichtiger Schritt getan, um starke Fäden zu spinnen und qualitativ hochwertige Stoffe zu weben. Damit nicht nur Martin Klöti zu einem langlebigen T-Shirt kommt.
Drei Fragen an Marco Baltensweiler, Leiter Amt für Landwirtschaft des Kantons Glarus
Wie realistisch sehen sie den Anbau von Hanf im Glarnerland?
Wir beschäftigen uns schon länger mit der Frage, wie sich die Landwirtschaft im Glarnerland entwickeln soll. Nebst Milch-, Fleisch- und Alpwirtschaft weist das Tal auch ungefähr 200 Hektaren fruchtfolgefähige Böden aus. Grad im Winterhanf als Zwischenfrucht sehe ich durchaus Potential.
Wo liegt die Schwierigkeit?
Natürlich gibt es Nutzungskonflikte. Auch soll das bis jetzt gut funktionierende Gleichgewicht der Alpbestossung und der Grünflächen im Tal weiterhin intakt bleiben. Ein sensibles Vorgehen und überlegtes Handeln ist notwendig. Zudem kann nicht im ganzen Kanton Hanf angebaut werden. Es sind vor allem die Flächen um Näfels und Mollis, welche sich dazu eignen.
Was würde das Realisieren des Hanfanbaus für das Glarnerland bedeuten?
Das Glarnerland war lange Zeit ein Textilkanton. Grad der Anbau von Winterhanf, welcher für die Textilproduktion verwendet wird, würde daher sehr gut ins Tal passen. Auch ist die Kreislaufwirtschaft, wie sie Glärnisch Textil andenkt, ein wertvoller Beitrag in Puncto nachhaltiger Landwirtschaft. Wir würden damit nicht die Welt retten, doch einen Schritt in eine gute Richtung wagen.
«Handelszeitung» vom 31.12.2021, Redaktor Andreas Valda
Der Mann hat etwas von einem Guru. Entfernt erinnert er an Mahatma Gandhi. Er versucht, Leute auf dem Land um sich zu scharen und verspricht Unabhängigkeit und Aufschwung durch Selbstversorgung. Sein Ziel: die Einführung einer echten Kreislaufwirtschaft im Alpenraum. Dieses Modell will er – sofern erfolgreich – exportieren. Dafür sucht er «eine weltweite Allianz von Partnern für globale Nachhaltigkeit in Gesellschaft und Wirtschaft», steht auf Linkedin. Was dort nicht steht: Sein Weltprojekt basiert auf Hanf. Der Mann heisst Martin Klöti. Der 62-jährige Thalwiler war lange Projektleiter bei Banken, zuletzt bei Julius Bär. Danach wurde er Professor für Ökologie und Nachhaltigkeit an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Dort lehrte er Ethik, postulierte Empowerment und Green Tech, wetterte gegen Konsum, lud Referenten und Referentinnen aus der halben Welt ein und überzog das Budget. Die Folge: Er flog raus und gründete 2017 die Genossenschaft Glärnisch Textil mit 16 Mitstreitenden.
Klöti stemmte mithilfe seiner Familie 1,5 Millionen Franken Kapital und ist der Chef der Genossenschaft. Er hat sich zum Ziel gesetzt, aus Hanf eine neue Textilindustrie aufzubauen, mit Epizentrum in Glarus. Sein Ehrgeiz: gesponnene Hanffasern so fein und weich zu machen wie Garne aus Baumwolle. Damit sollen sie in der breiten Mode marktfähig werden. Made in Switzerland – ein hoher Anspruch, wie alles bei Klöti: stets hart an der Grenze zum Grössenwahn. Traum 1: Industrie zurück ins Tal holen Berauscht war der Kulturingenieur ETH nicht, als er seine Vision entwickelte. Denn der Nutzhanf, den er verarbeitet, ist der THC-freie Cannabis sativa. Er sieht aus wie Drogenhanf, ist aber zum Kiffen so geeignet wie ein Stück Karton. Wirtschaftlich interessant sind die Samen für Nahrungsmittel, die Stängel für Textilfasern, für Bau- und Isoliermaterial sowie das darin vorhandene Naturharz. Es kann für Autokarosserien oder für das Skiwachsen verwendet werden. Diese Cannabisart ist eine Pionierpflanze mit extremer Performance. Sie kommt ohne Pestizide und Kunstdünger aus. Sie ist wenig empfindlich und wächst bis hoch hinauf. Und sie wächst schnell: Innerhalb von hundert Tagen ist sie erntereif. Aus dem nachwachsenden Rohstoff können laut Klöti «jede Art von Kunst- und Werkstoffen» hergestellt werden. Auch die Medizin und die Kosmetik nutzen Cannabis sativa. Damit sich jeder in Glarus den Aufbruch vorstellen kann, baut Klöti an einem Masterplan à la Metaverse.
Auf einer Internetplattform soll das Entstehen der neuen Textilindustrie simuliert werden, «eins zu eins anhand der effektiven Verhältnisse», sagt Klöti, «von den Hanffeldern und den Bauern über die Hanfbrechanlage, die Spinnereien, die Webereien, die Vliesproduktion, die Baustoffwerke, die Nähateliers und Seilereien bis zu den Tuchmachereien». Klöti selber verwertet nur die Stängel. Pro Jahr erhält er einige wenige Tonnen, obwohl er die Kapazität für 2000 hätte. Sie stammen von drei Dutzend Hanfbauern in Graubünden, Liechtenstein, St. Gallen und Aargau. Die Stängel haben eine harte Schale und einen weichen Kern. Über mehrere Stufen werden sie gebrochen. Die harten Teile fallen in einen Behälter. Klöti verkauft sie an einen erfolgreichen Hersteller von Hanfziegeln in Südtirol. Die weichen Fasern werden maschinell gekämmt, bis sie sich anfühlen wie Wattebäuschchen: Dies ist der Rohstoff für Isolierung, die er auch verkauft, und für Garn. Die einzigen Brech- und Kämmmaschinen der Schweiz rattern bei Klöti. Jetzt arbeitet er an einer Spinnmaschine, zusammen mit dem Winterthurer Hersteller Rieter. Ein erster Versuch mit fünf Tonnen Fasern sei vor kurzem gescheitert, sagt Klöti. Die gesponnenen Fäden seien gerissen, weil die Fasern zu kurz waren. Der Rohstoff stammte von der falschen Hanfsorte. «Wir brauchen jetzt lange Fasern aus Winterhanf», sagt Klöti. Dieser wächst bei einigen Bauern auf den Feldern und wird im Frühling geerntet. Allzu weit ist der Hanfguru also noch nicht. Das Beispiel demonstriert die Vielschichtigkeit des Vorhabens, aus dem Nichts eine Textilindustrie aufzubauen: Bauern müssen den richtigen Rohstoff anbauen, Spinnereien müssen modisches Garn herstellen – und neue Textilfirmen müssen Kundschaft finden. Und es braucht Geld, um das Ganze zu finanzieren, sonst geht es nicht auf. Traum 2: Nahrung wächst in der Schweiz Doch es gibt zwei Beispiele, bei denen die Rechnung mindestens für die Hanfbauern bereits aufgeht. Sie verkaufen die gewonnenen Hanfsamen an Lebensmittelhersteller. Es sind dies zwei Unternehmen, die eine jung, die andere etabliert: die Firma Alpenpionier in Ilanz bei Chur und die Genossenschaft Landi Freiamt in Bünzen AG. Ihre Marken heissen Alpenpionier und Hanfwohl. Sie verkaufen seit drei Jahren Hanfsamen zum Konsum, Hanfriegel, Öl und Kochzutaten, etwa Hanfpulver. An beiden Orten sind eigenwillige Gründer am Werk – bei Alpenpionier der Lebensmittelingenieur Carlo Weber (37) und bei Landi der Ladennetzchef Daniel Appert (52). Um diese zwei Pole herum haben sich seit 2017 Hanf-Cluster gebildet: In Graubünden und Liechtenstein sind es zwei Dutzend Hanfbäuerinnen und -bauern, im Aargau 14. Die Nase voraus hat Weber mit Alpenpionier. Sein Marketing und seine Produkte sprechen ein junges, trendy Publikum an, welchem Fitness, Outdoor, Veganismus, Kochen und Gesundheit wichtig ist. Die Samenstreusel, der Hanftee und Hanfbier laufen gut. Doch seine beste Erfindung sind Protein- und Energieriegel, die gut und gerne zu Red Bull passen würden. Sie sind so lecker, dass Migros und Coop sie demnächst ins Sortiment aufnehmen werden – Webers erster grösserer Erfolg. In seiner Fabrik steht auch die erste und einzige industrielle Maschine zum Schälen von Hanfsamen, die optisch an Leinsamen erinnern, aber runder und grösser sind. Davon profitiert auch die Konkurrenz. Apperts Landi lässt dort ihre Samen schälen, um Kosten zu senken. Denn die Margen sind noch viel zu klein, als dass Konkurrenten parallele Kapazitäten aufbauen können: Kooperation ist Trumpf. Was die Hanfsamen so wertvoll macht: Zum einen enthalten sie die berühmten Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren. Diesen wird ein lebensverlängernder Effekt bei regelmässiger Einnahme nachgesagt.Zum andern stecken darin alle lebensnotwendigen Aminosäuren, sodass ein Mensch auf den Verzehr tierischer Proteine verzichtet könnte. «Für Veganer ist das ideal», sagt Lebensmittelingenieur Weber. Hanfkulturen wäre eine rentierende Alternative für die defizitäre Milch- und Fleischwirtschaft. Die bekannte vegetarische Restaurantkette Tibits setzt auf Hanfsamen von Alpenpionier: im Eistee, in Knödeln, auf Salaten und als warmes Getränk, der «Hanflatte», aus Samen, Datteln und Hafermilch. Das Tibits sei munter am Experimentieren, sagt Co-Gründer Reto Frei. Gesucht werden derzeit Rezepte für Frühstücksgetränke, für einen Proteinshake und für ein Brot aus Hanfschrot. «Hanf-Food hat viel Potenzial, da es vielseitig, geschmackvoll, gesund und lokal hergestellt ist», sagt Frei. Er hat sich als Kleinaktionär an Alpenpionier beteiligt und letzten Sommer in den Verwaltungsrat wählen lassen. Doch Alpenpionier verbrennt Geld. Das Geschäft ist im vierten Betriebsjahr noch in den roten Zahlen. Man setzt auf Freiwilligenarbeit, Idealismus und Crowdfunding. Der Finanzchef, ein früherer Investmentbanker, arbeitet im Teilzeitpensum – und kehrt jeden Franken zweimal um, bevor er ihn ausgibt. Der Umsatz dürfte unter 500 000 Franken liegen. Immerhin: Der Kanton Graubünden unterstützt Hanfkulturen mit Beiträgen und die Glarner Kantonalbank hat Alpenpionier ein Darlehen gewährt. «Ohne sie wäre es nicht gegangen», gesteht Weber. Als Gegenleistung erhofft sich der Kanton, dass Alpenpionier eine so grosse Nachfrage generiert, dass sich regional eine auf Hanf basierende Agrarwirtschaft entwickelt. Sie wäre eine rentierende Alternative für die defizitäre Milch- und Fleischwirtschaft. Warum eine Alternative? Das Amt für Landwirtschaft Graubündens sagt, dass Hanf «bis auf einer Höhe von 1500 Meter über Meer ausreifen kann» – das höchste Feld lag auf 1250 Metern in Scuol – und dass Hanf eine Proteinqualität aufweise, die mit Soja vergleichbar sei. 800 000 Tonnen Soja würden jährlich importiert, vor allem für Veganer und Vegetarier. Ergo könnte mit Hanfanbau im Inland wertvolles Eiweiss beschafft werden. Und so formuliert das Landwirtschaftsamt seinen Traum: Das Projekt habe «ein beträchtliches Potenzial, eine Kulturart mit grosser Vergangenheit und beträchtlichem Zukunftspotenzial im Alpenraum und insbesondere im Kanton Graubünden wieder aufleben zu lassen». Traum 3: Hanf, der umweltgute Rohstoff Dieses Potenzial hat inzwischen auch Agrarminister Guy Parmelin entdeckt. Dank Lobbying der Kantone Graubünden und Aargau liess er im November Direktzahlungen für Nutzhanfkulturen vom Bundesrat bewilligen. Die Subvention wird ab Januar ausgerichtet und rund die Hälfe der Auslagen der Bauern decken. Da sie etwa gleich viel Ertrag je Kilo erwarten wie bisher, wird die Subvention vor allem den Herstellern zukommen, die künftig nur rund halb so viel für den Rohstoff bezahlen werden als bisher. Damit bleibe mehr Geld für die Entwicklung, so die Hersteller. Landwirtin Andrea Haas ist eine von 14 Hanfbauern im Cluster Freiamt, die seit 2019 tätig sind. Auch sie freut sich über die Subvention, aber nicht, weil sie mehr Gewinn mache, sondern weil mehr Geld da sein werde, um Nutzhanf zu vermarkten. Wer das grosse Geld verdienen wolle, müsse nicht auf Nutzhanf setzen. «Wir bauen aus Passion an, um Neues zu versuchen», sagt sie, die viele Beteiligte kennt und sich bei Landi im Verwaltungsrat engagiert. «Ein wertvolles Produkt, nur: Lebensmittel aus Hanf sind zu wenig bekannt.» ANDREA HAAS, HANFBÄUERIN DOTTIKON Die 33-Jährige züchtet auf dem elterlichen Hof in Dottikon AG zwar auch konventionelle Saaten, etwa Weizen oder Zuckerrüben. Aber sie sucht die Innovation: Seit zwei Jahren setzt sie auf Nutzhanf. Dieser nimmt einen Zehntel des von ihr angebauten Bodens ein, in der Grösse von acht Fussballfeldern. Haas überlegt sich, auf Bio umstellen. Schliesslich sei Nutzhanf quasi Bio. Hanf wächst schneller als Unkraut. Die Pflanze sei geeignet für die Ackerwirtschaft, denn sie passe hervorragend in die Fruchtfolge. Und Cannabis sativa liefere ein «megawertvolles Produkt – das Problem ist nur: Die Konsumenten springen nicht von alleine drauf. Das ist leider so.» Die Herkulesaufgabe sei, Hanfprodukte bekannt zu machen. Haas’ Samen gelangen unter der Marke Hanfwohl zu den Konsumenten. Als Spezialitäten gelten Hanfpasta und Hanfbirewegge. Ein einziger Vorfall kann das Hanfprojekt Schweiz gefährden. Das Vertriebsnetz war bisher bescheiden: Rund fünfzig Volg- und LandiLäden sind das Vertriebsnetz – plus ein Online-Shop. Doch das genügt nicht. Die Umsätze sind nicht berauschend. So erhofft Haas einen Push durch Migros Aare und Luzern. Die zwei Genossenschaften haben zugesagt, Hanfwohl-Produkte unter dem Titel «Aus der Region» zu verkaufen. Der Ritterschlag ist das noch nicht, aber immerhin erhalten Haas’ Produkte einen weiteren Kanal. Traum 4: Eine neue Branche erschaffen Ob Haas, Appert, Klöti, Weber oder die Agrarfunktionäre: Sie alle träumen von einer Nutzhanfindustrie. Sie kennen einander, sprechen über Mengen und Preise und versuchen, einander zu helfen. Doch es geht nur, wenn jede Stufe ihren Teil dazu leistet: die Bauern, die Hersteller, die Textilindustrie und der Detailhandel. So könnte etwa Coop Hanföl aus der Schweiz statt aus Österreich vermarkten. Ein einziger Vorfall kann das Hanfprojekt Schweiz gefährden. Dies zeigte eine Begebenheit vor zwei Jahren: Martin Klötis Hanfbrechmaschine brannte. Ein einziges Steinchen, das versehentlich in die Maschine gelangt war, löste Funken aus, welche die Hanffasern entzündeten. Der Betrieb stand still. Ein volles Jahr Arbeit umsonst. Die Bauern mussten Tausende Ballen Hanfstroh einlagern. Und stellten – als Reaktion – auf eine Sorte um, die kürzere Fasern generiert. Zum Leid Klötis: Jetzt fehlen ihm lange Fasern fürs Garnspinnen – so fragil ist das System. Der andere grosse Haken ist: Schweizer Hanfprodukte sind noch viel zu wenig bekannt. Die Akteure haben seit 2017 zusammen geschätzt 10 Millionen investiert, ohne in die schwarzen Zahlen zu kommen. Das zehrt an den Nerven. Man hat viel unbezahlte Stunden und Idealismus hineingesteckt, aber noch keinen breiten Widerhall erfahren. Weder Energieriegel noch die «Hanfnüsse», noch Hanfpasta, noch Hanfbirewegge sind sehr bekannt. Auch dürften die allermeisten Küchen noch nie etwas von diesem hochwertigen Proteinersatz erfahren haben. Den mangelnden Bekanntheitsgrad beklagen die Akteure selber. Der grosse Traum ist bedroht. Derweil träumt der Glarner Martin Klöti seinen Traum weiter. Vor zwei Wochen hat er ein Flugblatt publiziert, mit dem Aufruf an Glarner Grundbesitzer, leer stehende Häuser – deren gibt es viele – zu spenden. Kein Witz. Klötis Angebot: Tausche Haus gegen Genossenschaftsanteile der Glärnisch Textil. Sein Plan: die Häuser zu renovieren und darin Textilateliers einzurichten, um so an Kapital (Hypotheken) zu gelangen. Ob sein Plan gelingt, ist offen. Die Idee ist schlau, aber etwas vermessen. Warum sollte eine Bank Hypotheken für Textilateliers vergeben, solange keine Nachfrage vorhanden ist? Es ist dies die Frage nach dem Huhn und dem Ei. Was kommt zuerst? Klötis Antwort darauf ist ein Appell in die Zukunft. «Bis 2025 setzen die klug vernetzten Glarner Werktätigen auf substanziell mehr nachwachsende Rohstoffe und Rezyklate. Dank einer entschlossenen Umsetzung schaffen sie innert fünf Jahren gegen eintausend neue Arbeitsplätze im Tal und mutieren zur Vorzeigeregion mit internationaler Ausstrahlung.» Das Glarnerland soll nach den vergangenen, zum Teil sehr beschwerlichen Jahrzehnten «tüchtig herausgeputzt werden. – Ein wunderbarer Traum. Aber bis dahin ist der Weg noch sehr weit.
Wenn ein T-Shirt der Anstoss zu Neuem wird
«St. Galler Bauer» 19 - 2022, Redaktorin Barbara Schirmer
Die Genossenschaft Glärnisch Textil hat den Nutzhanf im Fokus. Nutzhanf ist ein vergessen gegangener Alleskönner. Martin Klöti von der Genossenschaft Glärnisch Textil sieht in diesem Rohstoff viel Potential, auch für die Landwirtschaft.
Langstielige blassbeige Halme türmen sich in der grossen Halle der Genossenschaft Glärnisch Textil in Schwändi. Mittendrin befindet sich der Verwaltungsratspräsident, Martin Klöti. Er ergreift eine Hand voll Halme, schüttelt sie, bis sie einigermassen parallel liegen und legt sie sich über den freien Arm. „Es handelt sich um Winterhanf. Dieser ist vor wenigen Tagen eingetroffen“, erzählt er ohne seine Arbeit zu unterbrechen und fügt an, dass künftig ein spezieller Parallelmäher eingesetzt werden soll, damit die Halme direkt nach der Ernte für das maschinelle Weiterverarbeiten gerüstet sind und die Handarbeit entfällt. Doch das ist Zukunftsmusik.
Es ist die erste Lieferung Winterhanf für die Genossenschaft Glärnisch Textil. Überhaupt befindet sich das Projekt Schweizer Nutzhanf noch im Aufbau. „Wir möchten weg von fragwürdigen, verschwenderischen Produktions- und Konsumformen. Die Lösung liegt in der Kreislaufwirtschaft“, erklärt Klöti den Genossenschaftsgedanken. Es gelte Materialien und Hilfsstoffe für die menschlichen Bedürfnisse zu gewinnen und zu verwenden, welche die Natur liefere. Diese sollen zu guten zeitgemässen Produkten verarbeiten werden. Wichtig auch: Ist die Lebensdauer der Produkte abgelaufen, müssen sie vollständig und einwandfrei zu ihrem Ursprung zurückgehen. Nicht zu vergessen sind die Produktionsbedingungen. Auch die hält die Genossenschaft im Fokus.
Es war eine Reise nach China, welche Klöti als damaligen Mitarbeiter der Fachhochschule Nordwestschweiz in Zusammenarbeit mit Sulzer Textil tätigte, die ihn zum Handeln zwang. „Was ich dort sah und roch, hat mich sehr bewegt“, so sein Fazit. Daraufhin habe er sich Gedanken gemacht, was alles passieren muss, um die Missstände langfristig in Ordnung zu bringen. Während dieser Zeit folgte ein weiteres Schlüsselerlebnis. „Ich wollte ein T-Shirt kaufen das aus einem qualitativ hochwertigen Baumwollstoff gefertigt ist“, erzählt er. Er trage seine Kleider über Jahre und bevorzuge daher Stoffe, welche diesem Anspruch standhalten. Doch auf dem Markt fand er nichts Zufriedenstellendes. Wohlwissend, dass sich Herausforderungen nicht von alleine lösen, handelte er und legte den Grundstein für die heutige Genossenschaft Glärnisch Textil.
Ein anspruchsloser Überlebenskünstler
„Hanf ist ein Überlebenskünstler, gleichzeitig unglaublich vielseitig einsetzbar“, weiss Klöti. In der Tat bietet Hanf in Form von Nüssen, Mehl und Öl Nahrung. Gleichzeitig sind die Fasern Lieferant für Textilien, Baustoff und Dämmmaterial. Selbst scheinbarer Ausschuss des Hanfs kann noch verwertet werden. Er findet seine Bestimmung als synthetische Bio –Granulate oder Hanf-Cellulose. Zu guter Letzt lässt sich aus dem Hanf sogar Energie gewinnen. „Hanf deckt unsere Lebensbedürfnisse vollständig ab. Wir müssen ihn nur richtig nutzen.“
Die Faserpflanze wächst unkompliziert, ohne Spritzmittel, ganz egal ob lange Trockenphasen oder Regenperioden die Wetterkapriolen dominieren. Sie wartet einfach ab, bis bessere Zeiten kommen und gedeiht dann weiter. Selbst auf stark beanspruchten oder vernachlässigten Flächen soll Hanf einsetzbar sein. Entsprechend robust sind seine Fasern. Klöti bedenkt: „Wickeln sich beim Verarbeiten Fasern auf, so spickt vorher ein Teil der Maschine ab, als dass die Faser nachgibt.“ Vor allem in der Schifffahrt für Segel und Seile fanden die Fasern früher ihre Anwendungen.
Der Winterhanf, welcher in der Halle auf das Weiterverarbeiten wartet, hat aber einen anderen Bestimmungszweck. Er soll für Textilien genutzt werden. „Da der wintergewachsene Hanf keine Früchte trägt, fällt der Mähdrescher weg. Dadurch bleiben die Stängel in ihrer ursprünglich gewachsenen langen Form bestehen. Was für stabile reissfeste Fäden spricht. Anders der Sommerhanf. Er ist in erster Linie Öl- und Nusslieferant. Das durch den Drescher verkürzte Stroh findet somit als Baumaterial seinen Bestimmungszweck.
Mehr Wertschöpfung möglich
Klöti ist überzeugt, dass sich die Landwirtschaft neu positionieren kann, in dem sie nebst der Ernährung einen wesentlichen Beitrag für die weiteren Bedürfnisse der Wirtschaft abdeckt. Das Ziel der Genossenschaft geht sogar noch weiter. „Wir möchte den Landwirten ermöglichen, direkt auf ihren Betrieben Halbfertigfabrikate zu produzieren. So wird die Wertschöpfung für die Betriebe erhöht. Gleichzeitig wird das Wissen der Hanfverarbeitung breit abgestützt.“ Die dazu benötigten Maschinen sollen sich dank der Genossenschaft Glärnisch Textil in einer Preisklasse befinden, welche von den Landwirten auch gestemmt werden kann.
Zurzeit wächst an den verschiedensten Standorten in der Schweiz Nutzhanf. Es ist ein Anliegen von Martin Klöti, dass auch im Glarnerland und in der Linthebene Landwirte zur Produktion gewonnen werden. Das Glarnerland mit seiner langen Textiltradition verfüge noch über eine der letzten industriellen Spinnereien. Grad der Winterhanf würde so unmittelbar dort verarbeitet, wo er wächst. „Das spart Transportwege und bietet abgelegenen Gebieten die Chance auf Arbeitsplätze.“ Zudem wachse mit diesem Schritt die Landwirtschaft über ihre Grundfunktion als Nahrungsmittellieferantin hinaus und werde zum Partner für sämtliche Grundbedürfnisse des Menschen. Klöti mahnt: „Grad jetzt, wo der nahe Krieg in der Ukraine wütet, sollten wir sensibilisiert sein, wie wichtig eine breit abgestellte Landwirtschaft ist.“
Noch immer entwirrt er Winterhanfhalme in der grossen Halle. Demnächst werde eine, eigens für die Weiterverarbeitung dieser langen Fasern konstruierte Brechmaschine das Sortiment in Schwändi erweitern. Dann ist ein weiterer wichtiger Schritt getan, um starke Fäden zu spinnen und qualitativ hochwertige Stoffe zu weben. Damit nicht nur Martin Klöti zu einem langlebigen T-Shirt kommt.
Drei Fragen an Marco Baltensweiler, Leiter Amt für Landwirtschaft des Kantons Glarus
Wie realistisch sehen sie den Anbau von Hanf im Glarnerland?
Wir beschäftigen uns schon länger mit der Frage, wie sich die Landwirtschaft im Glarnerland entwickeln soll. Nebst Milch-, Fleisch- und Alpwirtschaft weist das Tal auch ungefähr 200 Hektaren fruchtfolgefähige Böden aus. Grad im Winterhanf als Zwischenfrucht sehe ich durchaus Potential.
Wo liegt die Schwierigkeit?
Natürlich gibt es Nutzungskonflikte. Auch soll das bis jetzt gut funktionierende Gleichgewicht der Alpbestossung und der Grünflächen im Tal weiterhin intakt bleiben. Ein sensibles Vorgehen und überlegtes Handeln ist notwendig. Zudem kann nicht im ganzen Kanton Hanf angebaut werden. Es sind vor allem die Flächen um Näfels und Mollis, welche sich dazu eignen.
Was würde das Realisieren des Hanfanbaus für das Glarnerland bedeuten?
Das Glarnerland war lange Zeit ein Textilkanton. Grad der Anbau von Winterhanf, welcher für die Textilproduktion verwendet wird, würde daher sehr gut ins Tal passen. Auch ist die Kreislaufwirtschaft, wie sie Glärnisch Textil andenkt, ein wertvoller Beitrag in Puncto nachhaltiger Landwirtschaft. Wir würden damit nicht die Welt retten, doch einen Schritt in eine gute Richtung wagen.